8 April 2005 - Huanuco, Peru

Hallo Freunde

Um nicht wieder ein halbes Buch zu schreiben, greife ich mich nun schon ungewohnt frueh in die Tasten um euch von meinen vergangenen Tagen und Erlebnissen zu berichten. Erst ging es angenehm weiter, bevor meine Reise ploetzlich einen herben Schlag erlitt.... Ihr werdet es lesen.

Ich fuhr aus Andahuaylas los und wollte nach Tagen des Bummelns wieder einmal kraeftig in die Pedale treten. Doch ich kam nicht weit. In einer der vielen Steigungen rannten zwei Hunde, Tiere, die ich auf dieser Reise so richtig zu hassen gelernt habe, auf mich zu, bellten und schnappten nach meinen sich rythmisch bewegenden Waden. Ich musste halten, griff nach Steinen, um diese Biester zu vertreiben, als mich ploetzlich eine Frau ansprach. Susanne kniete neben der Strasse im Strassengraben und zog den acht sich im Plastikbecken befindenden Meerschweinchen das Fell ueber die Ohren. Heute sei der Geburtstag ihres aeltesten Sohnes und darum bereite sie fuer die Familie ein Festessen zu. Festessen bedeutet hier Meerschweinchenbraten. Ich wurde spontan eingeladen. So sass ich nun also wirklich vor einem dieser Tierchen, nagte an den Knochen, versuchte die Krallen und die Zaehne grosszuegig zu umbeissen und vermied den direkten Blick in die leblosen Augen meines Bratens.

Text? Die Familie war aufgeschlossen und nett. Der Vater Tuilo erzaehlte mir von den verschiedendsten Variationen von Kartoffeln, die in dieser Gegend wachsen sollen. Ueber 100 Sorten soll es geben. Er zeigte mir einige dieser Knollen. Die einen schnecken suess, andere haben eine laengliche Form und wieder andere schimmerten blau. Doch werde die Suessen noch die Blauen erziehlen auf dem Markt einen hohen Preis. So hoerte ich in den letzten Tagen, dass die Bauern rund um Andahuaylas in einen Streik getretten seien, um von der Regierung einen anstaendigen Kartoffelpreis zu verlangen. Seit fast einer Woche ist in Andahuaylas kein Durchkommen mehr.

Streiks gibt es im Land immer wieder. In den nun schon etwas ueber drei Monate, die ich hier in Peru verbrachte, erlebte ich drei Totalstreiks mit. Die Laeden blieben geschlossen. Der Verkehr brach zusammen. Demonstranten zogen durch die Strassen. So traf es mich wieder einmal, als ich in Ayacucho eintraf. Es war Streik. Es lief gar nichts mehr.

Ich kam bei der Feuerwehr unter. Die Spannung im Quartier war den Leuten anzumerken. Jederzeit haette es losgehen koennen. Im Zentrum liefen Bauern mit Holzstoecken und Eisenstangen durch die Strassen. Angebliche Vandalengruppen rannten durch die Gassen. Die Geschaefte blieben geschlossen. Fast eine halbe Stunde lief ich durch die Strassen auf der Suche nach fuenf Broten. Als ich dann endlich etwas fand und mich in den Laden setzte, schloss der Besitzer immer wieder das Ladentor, so dass die moeglichen Vandalengruppen nicht sein Laden ueberfallen wuerden.

Doch es blieb gluecklicherweise ruhig. Und als am Abend Peru ein Fussballmatch zur WM Qualifikation spielte, waren die Proteste eh vergessen. Zusammen mit einer Gruppe Feuerwehrleute schaute ich das Spiel, als kurz vor Schluss ein Notfall einging. Niemand wollte nun aber die letzten spannenden Minuten verpassen und gelassen warteten alle auf den Schlusspfiff. Ob das Feuer wohl auch so geduldig war..??

Eine weitere Nacht verbrachte ich bei der Polizei in Mayocc. In den kuehlen Abendstunden spielten wir zusammen Fussball, als ein scheinbar ueberladenens Auto vorbei fuhr. Im Fussballdress und total verschwitzt hielten die Polizisten das Auto auf und liessen die Insassen aussteigen. Es war ein normaler Toyota Kombi, wo normalerweise fuenf Personen mitfahren. Ich staunte dann nicht schlecht, als ganze 12 Leute aus dieser Kiste krochen! Die Polizisten erachteten dies als Ueberladen, stellten dem Fahrer eine Busse aus, dann stiegen alle 12 Leute wieder ein und die Fahrt ging weiter, wie wenn nichts geschehen waere....

Oder dann kam ich in einem Saal einer Galubensgemeinschaft unter. Zwei "Brueder" setzten sich zu mir und bald redeten wir ueber ihren Glauben. Oft holten sie ihre Bibel hervor und zitierten. In einem Zitat war sogar die Rede von Machu Picchu. Dies in der Bibel!? War wohl eine etwas modifizierte Ausgabe.

Um wieder einmal eine angenehme und ruhige Nacht verbringen zu koennen, fragte ich in Huancayo nach einer billigen Unterkunft. So suchte ich das empfolenen Hostal auf und richtete mich in einem Zimmer ein. Alles kam mir etwas komisch vor. Die Waende waren duenn, zur Decke hin offen und Licht hatte ich keines in meiner Kammer. Zahlen musste ich im Voraus und ich wurde gefragt, fuer wie lange ich denn das Zimmer haben moechte. Als ich dann gegen Mitternacht mich schlafen legen wollte, merkte ich, was mir an dieser Unterkunft so komisch schien. Aus allen Kammern toente lautes Gestoehne! Da war ich also, inmitten sich liebender Paare. Ich steckte meine Oropax in die Ohren und verbrachte weder eine angenehme noch eine ruhige Nacht...

Eine andermal verbrachte ich eine Nacht in einem Sanitaetsposten. Dies war genau das Richtige, so dass ich mich von der jungen Aerztin meine Schuerfungen verarzten lassen konnte. Schuerfungen? Was war passiert?

Etwas ueber 19,000km zeigte mein Kilometerzaehler an, als es geschah. Eine kurze Unachtsamkeit, ich sah das Loch zu spaet, wollte ausweichen, riss das Vorderrad ruckartig rum, als dieses auf der weichen Naturstrasse ausrutschte und ich mit allen Viern auf der Strasse lag. Ich stand auf, fluchte laut rum. Doch ich hatte Glueck. Mein Sturz geschah auf ueber 4,000m, es war kalt und ich hatte genuegend Kleider angezogen, die mich vor groesseren Blaessuren schuetzten. An beiden Haenden riss ich mir etwas die Haut auf, blieb aber vor schlimmen Verletzungen verschohnt. Rulo litt etwas mehr. Bremse, Flaschenhalter, Kilometerzaehler und Pedal nahmen Schaden. Doch gluecklicherweise kamen wir beide recht ungeschohren davon.

Doch dies sollte sich leider bald aendern. Ich nehms vorweg - ich hatte einen groeberen Unfall. Ich bin heil, mir ist nichts passiert. Einen kleinen Schock, aber koerperlich bin ich ohne jegliche Kratzer. Doch Rulo hatte es arg erwischt. Sein Rahmen war vier Mal gebrochen...!!! Das ging bloed!

Ich war auf der Anfahrt nach Huanuco und fuhr einem bremsenden Auto voll ins Arsch. Der Aufprall war so heftig, dass sich der ganzen Velorahmen zusammen drueckte. Das gerade Oberrohr sowie das Schraegrohr waren je zweimal gebrochen. Der Rahmen sah schlimm aus.

Ich fuhr am Morgen aus einem kleinen Doerfchen los und auf mich wartete eine 90km lange Abfahrt durch ein herrliches Tal runter nach Huanuco. Das Klima war angenehm und ich fuehlte mich wohl und frei. Nicht selten fuhr ich ueber 40km/h und kam herrlich vorwaerts. Als ich auf der Anfahrt in die Stadt war, sang ich vor mich hin und hatte einen Stundendurchschnitt von ueber 30km/h. Ich freute mich auf einen ruhigen Nachmittag bei einem Bier in der Stadt.

Text? Als ich auf dem Weg ins Zentrum war, fuhr ploetzlich Jenner, ein Motofahrer, neben mich und fragte, wo ich hinfahre. Ich liess es ihn wissen und er bot mir an, mich dort hin zu begleiten. Flott, dachte ich und er fragte mich weitere Dinge. Wir redeten und fuhren dem Zentrum entgegen. Ich erzaehlte ihm, wo ich Spanisch gelernt habe, schaute zu ihm rueber, als die Autos vor mir bremsten. Als ich wieder gerade aus schaute, war es zu spaet. Ich riss die Bremsen, konnte den Zusammenprall aber nicht mehr verhindern. Mit noch ueber 20km/h prallte Rulo ins Auto. Da der Rahmen nachgab, stiess ich mit meinem Koerper nicht einmal gegen das Auto. Mir machte es absolut nichts. Das Auto trug einen etwas verbeulten Stossdaempfer davon. Und Rulo machte einen geknicksten Eindruck....

Ich war am Ende. Traenen flossen. Ich sah mich schon auf dem Heimweg in die Schweiz. Das Ende meiner Tour. Minuten sass ich niedergeschlagen auf dem Gehsteig. Ich wusste nicht wie weiter, wusste nicht was tun. Es waren die schrecklichsten Minuten der letzten 20 Monate.

Doch bald fasste ich mich. Velorahmen sind ja auch hier in Peru erhaeltlich. Und als ich mit Jenner die Sache genauer anschaute, meinte der, dass dieser Rahmen schon wieder gerade gebogen werden kann. In Peru werde alles geflickt. Der Rahmen muesse gestreckt, an den Bruchstellen verstaerkt werden und dann koenne ich mit dem selben Rahmen wieder weiter fahren. Er begleitete mich zur Kirche, wo ich von einer vorherigen Nacht in einer Kirche in Junin schon halbers angemolden war. Ich demontierte alles, was an Rulos Rahmen abnehmbar ist. Mit Jenners Moto kurvten wir anschliessend durch die Stadt und suchten eine Werkstatt, wo sie meinen Rulo wieder auf Vordermann bringen koennen. Rulo war auf dem Weg ins Spital. Die Diagnostik war dann fuer uns erbauend. Noch am selben Abend solle der Rahmen wieder in die alte Form gebogen sein, so dass ich am naechsten Tag Rulo wieder zusammensetzen koenne.

Text? Carlos, mein Mechaniker, leistete eine Meisterarbeit. Er streckte, bog und schweisste und als ich den geflickten Rahmen in die Haende bekam, war die alte Form wieder hergestellt. Zwei Stnden spaeter, als ich das Werk abholen ging und Carlos den ganzen Rahmen mit dem selben grau sogar noch gespreit hatte, sah ich zum einstigen Modell ueberhaupt keinen Unterschied mehr! Die Operation war gelungen. Teil fuer Teil setzte ich Rulo wieder zusammen. Es waren Stunder der Neugeburt. Und ploetzlich fuhr er wieder, mein Rulo!

Um Carlos die gelungene Arbeit zu zeigen, fuhr ich gegen Abend mit meinem Rulo zu seiner Werkstatt. Mir war zum Feiern zumute. Bei einigen erfrischenden Biers erzaehlte er mir von seiem Leben. Dass er Autos, die die schlimmsten Unfaelle hatten, innerhalb von zwei Wochen wieder in ihre urspruengliche Form verhelfe. Da war diese Arbeit an meinem Rulo fuer ihn ja ein Zuckerlecken!

Wie so oft kamen wir bald auch auf die schwarze Vergangenheit Perus zu sprechen. Carlos habe waehrend acht Jahren als Militaer im Antiterrorkampf gegen die Guerillos des Sendero Luminoso gekaempft. Duzende Male sei er knapp mit dem Leben davon gekommen. Damals zum Beispiel, als sie mit vier Jeeps durch den Urwald kurvten. Er war der urspruengliche Fahrer des ersten Autos. Doch aus unerklaerlichen Gruenden wurde er von einem der Befehlshaber ins vierte Auto delegiert. Er wehrte sich, wollte das erste, sein Auto fahren. Doch Befehl war Befehl und so setzte er sich widerwillig in das ihm zugewiesene Auto. Als der Konvoi ueber eine Bruecke fuhr, detonierten Sprengungen. Die ersten beiden Autos wurden in die Luft gejagt. Alle 20 Insassen kamen dabei ums Leben. Carlos sass im vierten Auto und ueberlebte.

Auch Jenner ueberraschte mich ploetzlich mit einer dieser Horrorgeschichten. Er arbeitete als Fahrer eines Luxushotels in Lima. Eines Abends, als er vor dem Eingang auf seinen Einsatz wartete, parkierte ein altes Auto neben dem Hotel. Maenner stiegen aus und liefen davon als Sekunden spaeter eine Explosion erschallte. Weniger als zehn Meter sei er von der Explosion entfernt gestanden. An die 15 Leute verloren bei diesem Attentat ihr Leben. Jenner blutete, war schwer verwundet, aber ueberlebte.

Heute geniesse ich nun noch einige ruhige Stunden hier in Huanuco. Ruhige Stunden, auf die ich mich am Mittwoch vor dem Unfall schon gefreut hatte. Morgen geht es dann weiter. In Huaraz, der ?Schweiz Perus?, will ich durch die Cordillera Blanca kurven. Drei mehr als 4,700m hohe Paesse warten auf Rulo und mich. Wird Rulo dies ueberstehen, werden wir es auch zusammen bis nach Hause in die Schweiz schaffen!

Gruss Chrigu
Huanuco, Peru