23 Juli 2006 - Cancun, Mexico
Hallo Freunde
Die vergangenen zwei Monate verbrachte ich in Cuba. Seit Mittwoch letzter
Woche befinde ich mich nun wieder in Cancun.
Waehrend meiner Zeit in Cuba war es mir praktisch unmoeglich ins Internet
zu gehen. Nur ganz selten fand ich Internetzugang. War meine Suche fuer einmal
erfolgreich, bezahlte ich unheimlich viel. So erlebte ich zwei praktisch
internetfreie Monate.
Nach zwei Monaten in Cuba und fast 4.000 zurueckgelegten Kilometer gibt es
allerhand zu erzaehlen. Viel habe ich gesehen. Oft habe ich gestaunt.
Cuba ist anders.
Waehrend den ersten Tagen hatte ich so meine Probleme mit dem Leben in Cuba.
Ich fand kein Essen! Oft brachte ich kaum die Sachen zusammen, die ich zum
kochen brauchte. Ich musste lernten, mich nach den Zeichen des Lebens zu
richten. Wenn vier Leute vor einem Fenster stehen, dann heisst das, dass
es dort zu Essen gibt. Meistens ein Sandwich, ein kleinen Suessgebaeck oder
eine Pizza. Ich merkte, wann ich wo Gemuese bekomme. Und ich merkte auch,
dass ich mir keine Vorstellungen machen darf, was ich kaufen will.
Wenn ich Eier will, dann hat es ganz sicher nur Zwiebeln. Wenn ich Zwiebeln
suche, dann bekomme ich nur Brot. Suche ich Brot, so finde ich Eier. So lernte
ich zu kaufen, was es eben gleich hatte und damit irgend ein Essen zusammenzustellen.
Oder dann ass ich einfach immer dann, wenn ich etwas fand. Ich durfte nicht
warten, bis ich Hunger hatte und hoffen, genau dann etwas zu finden. Wenn
ich am Dorfeingang eine Pizza kriegte, dann musste ich die essen, da ich
naemlich im ganzen Dorf sonst sicher keine gefunden haette, haette ich danach
gesucht.
Ueberall entdeckte ich bald Pizzas. In aus einem Blechfass gebastelten Pizzaofen
wurden die Kaesepizzas gebacken. Die ersten Pizzas schmeckten herrlich. Teig,
geschmolzener Kaese und Tomatensauce - was haette es fuer mich in diesen
ersten Cubatagen beseres geben koennen?!
Pizza war oft die einzige Nahrung, die ich in den Doerfern auf der Strasse
kaufen konnte. 0.20U$ kostete das Stueck. An Rekordtagen ass ich acht Pizzas.
Bald aber brachte ich diese Dinger nicht mehr runter! Doch wenn ich nicht
verhungern wollte, musste ich weiter in dieses Gebaeck beissen, das sich
von einer toll schmeckenden Pizza waehrend den ersten Tagen in Cuba in ein
fades Kaesebroetchen am Schluss der Reise verwandelte...
Cuba ist fuer den Anbau von drei wichtige Agrarprodukten bekannt - Tabak,
Zucker und Cafe.
Tabak sah ich ueberall. Jeder Velofahrer hat seinen Stumpen im Mund. An
jeder Strassenecke sind Zigis und Stumpen zu kaufen. Cafeterias verkaufen
oft ausser Zigis nichts. Von Rauch haette ich mich auf Cuba ernaehren sollen!
Doch nach Rauchertagen in Suedamerika bin ich wieder Nichtraucher geworden
und liess auch die weltbekannten cubanischen Zigaretten in Ruhe.
Kaffee muss ich suchen, wie die Nadel im Heuhaufen. Hier werden die Lebensmittel
per "libreta" verteilt, dem Essrationenbuechlein der Cubaner. Ich bin nicht
Cubaner und habe auch keine "libreta", so dass mir kein Kaffee zusteht. In
den "unidades", wo die Produkte der "libreta" ausgegeben werden, bekam ich
nichts. Bald aber merkte ich, dass in den "unidades" oft zusaetzlich zur
Kaffeeration der "libreta" kleine Beutel mit ½ Pfund Kaffee fuer 0.20 Cent
verkauft wurden. Doch ohne meine Redekunst waere ich selten an diesen Kaffee
gekommen. Zwar sah ich oft die Kaffeepackungen hinter der Theke liegen, doch
ohne "libreta" schien es unglaublich schwierig, mir nun dieses Produkt verkaufen
zu koennen.
Zucker war einmal DAS Hauptanbauprodukte Cubas. Doch nichts scheint so schwierig
zu sein, wie auf Cuba Zucker zu kriegen! War das ein Spiessrutenlauf, bis
ich endlich an meinen Zucker kam! Ich musste Leute, die vor ihrem Haus auf
der Terrasse im Schaukelstuhl sassen, fragen, ob sie mir nicht doch bitte
mein Plastikdoeschen mit Zucker fuellen koennten! So fragte ich dann jeden
zweiten Tage irgend eine Person nach Zucker.
So gelangte ich eines Morgens nach etwa zwei Stunden Fahrt in ein Dorf. Vor
einer der "unidades" hatte eben der Baecker angehalten, um das Brot fuer
die "libreta" abzuliefern. Ich hielt und wollte vier Brote kaufen. Im Wagen
stapelten sich die Kisten voll toll riechendem Brot. Doch ich habe keine
"libreta". Die Brote seinen abgezaehlt. So erhielt ich kein einziges Stueck,
obwohl ich deren hunderte in Griffnaehe hatte. Zum Glueck zeigte sich die
Nachbarin milde, die mich vom Gartenzaun aus beobachtete. Sie rief der Ladenfrau
zu, dass sie mir vier Borte geben soll und den Konsum ihr von der "libreta"
streichen solle.
Oder drei Tage spaeter. Das selbe in weiss. Ein Eiertransporter hatte vor
einer "unidad" gehalten. Ich wollte sechs Eier kaufen. Hunderte waren gestapelt.
Einige waren auch schon kaputt gegangen. Die Rechnung konnte also schon lange
nicht mehr stimmen. Doch mir konnten aus logisitschen Gruenden keine sechs
Eier verkauft werden. Dafuer erhielt ich letztendlich deren drei geschenkt.
Geschaeftssinn auf cubanisch...
All diese Schwierigkeiten liessen meinen ersten Eindruck Cubas recht negativ
ausfallen. Fuer mich als Individualtourist unterwegs abseits der ausgetretenen
Touristenpfade war die Infrastruktur schlicht nicht geschaffen.
Doch abseits dieser Touristenpfade traf ich eben die Cubaner. Es war Sonnatg,
als ich nach Rio del Medio, einem kleinen Fischerdoerfchen, fuhr. In der
Cafeteria am Meer traf ich auf eine Gruppe Maenner. Sie rauchten und tranken
Rum. Vielleicht war es ihr angesoffener Rausch, der sie reden liess. Von
ihren Auslanderfahrungen erzaehlten sie. Der eine war in Angola, der andere
in Aethiopien und der dritte sonst wo in Afrika. Es war in den 80er Jahren.
Cubaner fuehrten in Afrika Stellvertreterkriege. Die heftigsten Kaempfe fanden
in Angola statt. 40'000 Cubaner sollen zu Spitzenzeiten in Afrika
gegen das vom Westen unterstuetzte Apartheitsregime gekaempft haben. Die
Gluecklichen kehrten lebend zurueck.
Mein Weg fuehrte mich ueber die cubanischen Strassen. Oft war es sehr ruhig.
Cuba ist ein "autofreies Land"! Verkehr hatte es praktisch keinen. Wurde
ich von einem Auto ueberholt, so waren es meistens alten Klapperkisten. Die
Autos stammen oft aus den 50er Jahren. In Cubas Strasse konnte ich die ganze
Entwicklung des Automobils mitverfolgen. Es sah immer ganz romantisch aus,
wenn so eine grosse farbige Limusine ueber die Huegel kurvte, hinter einem
Huegel verschwand um nach der naechsten Kurve vor mehreren Koenigspalmen
wieder aufzutauchen. Ich war oft ganz begeistert von der herrlichen Stimmung.
Weniger romantisch fanden es wohl oft die Fahrer. Dann naemlich, wenn die
Autos ploetzlich nicht mehr auftauchten und ich sie am Strassenrand stehend
einholte. Nach 50 Jahren in Aktion bricht und knackt immer etwas.
Zuverlaessiger funktionieren da die Pferdekutschen. Das Pferd ist oft das
Hauptverkehrsmittel. Die grossen Eisenraeder sind mit Reifengummi beschlagen.
Es holpert und ruettelt. Smog scheint man hier nicht zu kennen. Dafuer riecht
es nach Pferdemist.
Ueber eine unbefahrene Schotterstrasse fuhr ich nach Guasasa, als ploetzlich
ein heftiges Regenwetter ueber mich nieder prasselte. Als ich mich im Dorf
nach einem Unterschlupf erkundigte, wurde ich ins Haus des Doktors gewiesen.
Ich traf Ibsen. Er wurde vor einem halben Jahr mit dem Medizinstudium fertig
und leistet nun seinen Sozialdienst, wozu er in dieses gottverlassene Dorfchen
geschickt wurde. Er war froh durch mich etwas Abwechslung zu erhalten.
Er habe sechs Jahre studiert. Nun sei er Doktor. Jetzt verdiene er monatlich
17U$. Staatlich subventionierte Literatur koenne er sich leisten. Doch wolle
er unabhaengig ein Medizinbuch kaufen, so koste dies schnell einmal 50U$,
also drei Monatsloehne. Somit wuerde in der Schweiz ein Doktor 30'000 Franken
fuer sein Buch bezahlen....
Guasasa ist klein. Pro Woche kommt durchschnittlich eine Person zu Ibsen
ins Konsultorium. Meistens sind es duch Macheteschlaege verursachte kleine
Schnittwunden, die zu verartzen sind. Den Rest der Zeit sitzt Ibsen herum.
Doch obwohl Guasasa aeusserst klein ist, wird es medizinische versorgt. Cuba
ist eine medizinische Macht. Das Land besitzt prozentual so viele Dokotoren,
wie kein anderes Land auf der Welt. Die Lebenserwartung liegt ueber derjenigen
von vielen Industrielaender.
Viele Leute erzaehlen mir von Familienmitglieder, die in Venezuela, Bolivien
oder in Afrika auf "mission" seien. Cuba schickt jaehrlich hunderte von Doktoren
in ehemalige Koloniallaender.
Junge Leute erzaehlten mir von ihrem Medizinstudium. Dabei traf ich Leute
aus Honduras, Brasilien, Uruguay und Ecuador, die hier in Cuba ihr Medizinstudium
absolvieren. Cuba engagiert sich in der ganzen Welt auf humanitaerer Ebene
und ermoeglicht diesen jungen Lateinamerikaner ein kostenloses Medizinstudium.
Werde ich nun in den USA Wirtschaftsstudenten und Finanzexperten aus aller
Welt antreffen?
In diesen Junitagen war es einfach, mit den verschiedensten Leuten ins Gespraech
zu kommen. Uns verband ein Grossereigniss. Es war WM Zeit. Wie oft habe ich
wohl zum schweizer Penaltyschiessen gegen die Ukraine Stellung nehmen muessen!?
Schon im Maerz, als ich noch in Guatemnala war, lachten mit Ronaldino, Beckham
und Zidane auf den Werbeplakaten entgegen. Sobald ich in La Habana landete,
waren sie ploetzlich verschwunden. Im baseballbegeisterten Cuba schien man
nicht von den Fussballgoettern zu sprechen.
Es war keine Hysterie im Volk. Es wurden nicht die Minuten bis zum Eroeffnungsspiel
gezaehlt. Das Leben nah weiter seinen gewohnt ruhigen Lauf.
Als am 9. Juni das Eroeffnungsspiel stattfand, pedalte ich einer einsamen
Kueste entlang. Als ich am Abend mein Zelt im Busch aufstellte, schaltete
ich meinen kleinen Radio an. Doch ausser klassischer Musik und ein paar son-Rythmen
empfing ich nichts. Von Fussball-WM wurde nicht gesprochen.
Als ich am Morgen im Halbschlaf den Radio wieder anschaltete, gingen die
Musikrythmen weiter. Ich nickte wieder ein. Eine Maennerstimme weckte mich.
Es war der Sportreporter! Also doch noch - ich werde bald die Resultate wissen!
Doch als ich ihm genau zuhoerte, waren die Fussballresultate schon durch
und er war schon lange bei Baseball und Schach.
So war es oft schwierig ueberhaupt die Resultate der Spiele zu erfahren.
Leute auf der Strasse zu fragen hatte oft auch keinen Sinn. Ein Mann erklaerte
mir, dass er doch nicht einmal die Fussballregeln kenne und sich somit auch
nicht fuer dieses Spiel intreressieren wuerde.
Doch der FIFA-Virus drang auch in cubas Stuben. "Tele Rebelde", das "Rebellen-TV",
uebertrug die Partien. "Tele Rebelde" ist einer der vier staatlichen Fernsehsender
in Cuba. Andere Sender erreichen die Insel nicht. Da die Zeitdifferenz zu
Deutschland sechs Stunden betraegt, waeren die Spiele um 9 Uhr, 12 Uhr und
15 Uhr uebertragen worden. Dies kann nicht im Interesse des Staates sein,
da um diese Zeit die Bevoelkerung arbeiten soll. Somit wurden die Vorrundenspiele
waehrend den Wochentagen zeitlich verschoben nach 20 Uhr uebertragen.
Da ich im Radio die Resultate bis am Abend eh noch nicht herausgefunden hatte,
waren die Spiele noch interessant, wenn schon die ganze Welt dessen Resultate
wusste. Waehrend die letzten Anhaenger in Deutschland aus den Biergaerten
torkelten, fieberte ich in Cuba den schon laengst entschiedenen Spielen nach.
Nie war eine Fussballaufzeichnung so interessant wie in Cuba!
Nur an den Wochenenden wurden die Spiele live uebertragen. Nun war mein Problem,
ueberhaupt einen Fernseher zu finden. Kurz vor Mittag versuchte ich in ein
Dorf zu gelangen. Bei Spielbeginn drehte ich eine Runde durch die Gassen
und hielt Ausschau nach einem laufenden Fernseher. Fuendig wurde ich immer.
So sah ich an die 20 WM Spiele und sass dabei mit den unterschiedlichsten
Cubanern in ihren Stuben.
War das interessant! Keine Flachbildschirme mit gleichmaessig im Raum verteilten
Boxen. Keine Ledersofas und individuell gestaltete Inneneinrichtung. Die
Cubaner leben alle im gleichen Wohnzimmer, sitzen auf den gleichen Stuehlen
und schauen in den gleichen Fernseher. Der Boden ist aus glatten Zement.
Es stehen zwei Schaukelstuehle herum. Dazu hat es noch zwei Holzstuehle mit
Korbgeflecht. Der Fernseher ist ein chinesisches Panda-Modell.
Dabei kam es auch zu kleinen Abweichungen. Das Spiel Schweiz - Suedkorea
schaute ich in einem russischen Fernseher. Dort trugen die Schweizer ploetzlich
blaue Leibchen. Unsere Fahne schien an diesem Tag ein weisses Kreuz auf blauem
Grund gewesen zu sein. Doch auch so sah ich Senderos Kopfballtor und wusste
letztendlich, dass das Endresultat 2:0 ausfiel.
Auch der deutsche Erfolg ueber Argentinien wurde mir schwarz-weiss uebertragen.
Bei Feliz sass ich in der Holzhuette und spaehte in den kleinen Fernseher.
Draussen fielen die reifen Mangos aufs Dach. Feliz interessierte sich mehr
fuer die Mangos als fuer den Ball. Die WM sei ihm egal. Er sei eben ein "pelotero",
ein Baseballer.
Die Fussballspiele waren oft kurze Blicke nach draussen in die "Welt". Mit
grossem Erstaunen erzaehlte mir einer meiner cubanischen Fussballkollegen,
dass dort in Deutschland auf oeffentlichen Plaetzen so riesige Leinwaende
aufgebaut wurden, wo sich die Leute versammeln wuerden und so zusammen die
Spiele schauen. Ich schloss aus der Schilderung dieses Cubaners, dass es
sich da um Grossleinwaende handeln wuerde.
In Cuba gibt es so etwas nicht. Wenn sich die Massen versammeln, dann nur,
wenn Fidel spricht. Er ist hier der Star. Dann kommen Tausende. Oder vielleicht
noch, wenn Baseball gespielt wird. Oder bei einem der zahlreichen Konzerte
und Feste.
Dieser Blick nach draussen liessen auch fuer eine kurze Zeit die Marken hinein
nach Cuba. Werbung wird im staatlichen Fernseh keine gesendet. Nun weiss
auch jeder Cubaner, dass Yahoo gleich hinter dem linken Eckballfaehnchen,
Continantal rechts daneben, Adidas und Toshiba in der Mitte und Gillette
etwas weiter rechts mit ihren Schriftzuegen geworben haben. Der Cubaner hat
es mitgekriegt. Doch sind diese Marken in Cuba alle gar nicht zu finden.
Ich fand ja diese Werbestrategie sehr interessant. Jedes Stadion sah genau
gleich aus. Nach meinen 20 gesehenen Spielen koennte ich wohl problemlos
die 15 Hauptsponsoren der WM-Endrunde wiedererkennen. Letztendlich bekamen
die Italiener den Pokal. Sie haben gewonnen. Als einzige? Oder sind eben
vor allem diese 15 Werbepartner die Gewinner der Fussballtage in Deutschland?
Durch meine Besuche in den cubanischen Stuben knuepfte ich nette Bekanntschaften.
In Santa Lucia zum Beispiel. Ich sass bei Lazaro in der Stube und schaute
das Spiel um Platz drei. Neben seinem Haus stach ein betonierter Kamin in
den Himmel. Von der Zuckerfabrik. Doch dort wuerde nichts mehr funktionieren.
Die Fabrik liege still. Die Leute seien umgeteilt worden. Entlassungen habe
es keine gegeben. Nun arbeiten alle im Tourismus. Santa Lucia ist nur wenige
Kilometer von Playa Guardalavaca entfernt, einem der bekanntesten cubanischen
Straende.
Tourismus ersetzt den Zucker. Bis zum Fall des "sozialistischen Blockes"
verkaufte Cuba -zig Tonnen Zucker an die UdSSR. Die Abnahmemenge war garantiert
und die Preise im Vergleich zum Weltmarkt ueberhoeht. Der Wirtschaft Cubas
ging es gut.
Doch anfangs 90er Jahre kam das boese Erwachen. Cuba blieb auf seinem Zucker
sitzen und musste ihn billig verkaufen. In der Staatskasse klaffte ein riesen
Loch. So entdeckte man den Tourismus. Das Hotel, wo Lazaro als Mechaniker
arbeitet, wurde 1994 fertiggestellt. Die Fabrik neben seinem Haus wurde 2002
definitiv stillgelegt.
Von den einstigen Zuckerfabriken funktionieren nur noch die Haelfte (die
genauen Zahlen kenne ich nicht). Es wurde mir sogar erzaehlt, dass nicht
einmal mehr der Eigenbedarf des Landes an Zucker gedeckt werden koenne, so
dass nun Zucker importiert werden muesse. 1969 bereitete sich das Land auf
die gewaltige Aufgabe vor, 10 Millionen Tonnen Zucker zu prodizieren, eine
Menge, die nicht erreicht wurde. Heute wird davon nur noch einen Bruchteil
produziert. So fuhr ich oft an Zuckerfabriken vorbei. Doch praktisch alle
stehen still.
Entlassen wurde aber nie jemand. Die Leute wurde umgeteilt. Oft wurde mir
erzaehlt, dass es im Land an Arbeit wimmeln wuerde. Wer nicht arbeite, sei
selber schuld.
So sah ich sie bei der Arbeit. Zum Beispiel, als eine Gruppe von 20 Leuten
am Strassenrand mit Macheten das Gras niederhauten. Ich stoppte um mich nach
der Arbeit zu erkundigten. Bis nach Sibanicu, dem naechsten Dorf, seien es
noch ca. 5km. Uebermorgen wuerden sie diesen Wegrand bis ins Dorf ganz sicher
schon gemaeht haben.
So sah ich sie bei der Arbeit. Zum Beispiel, als ich in Playa Larga in eine
Pizzeria sass. Im Raum standen acht Tische mit je vier Stuehlen, was gesamthaft
32 Stuehle ergibt. Pro Tag wuerde diese Pizzeria 30 Pizzas produzieren. Seien
diese verkauft, so sei die Arbeit fuer den Tag getan. 30 Pizzas und 32 Stuehle
- ob dieser Laden wohl einmal voll sein wird!?
So sah ich sie bei der Arbeit. Zum Beispiel, als ich neben dem "Campismo"
(Feriensiedlung fuer Cubaner) in Los Cangilones im Zelt die Nacht verbrachte.
Als es Morgen wurde, troepfelten langsam die Arbeiter heran. Bald bemerkte
die Koechin das Fehlen von Wasser und Holz. Nichts zu machen. Wenn das Material
nicht gebracht wurde, koenne sie auch nicht kochen, womit die Arbeiter auch
nicht bauen koennen, da sie ja dann nichts zu essen haetten, wenn sie hungrig
waeren. So setzten sich alle hin und warteten.
So sah ich sie bei der Arbeit. Zum Beispiel, als ich mein Zelt in der Maschienenhalle
einer Reis produzierenden Agrargenossenschaft aufstellte. Kurz nach 7 Uhr
karrte ein Bus die Arbeiter an. Es werden an die 50 Leute gewesen sein. Jeder
lief zu seinem Platz. Der eine zur Sitzbank - und setzte sich erst mal hin.
Der andere zum kaputten Traktor - und setzte sich erst mal hin. Ein dritter
zum herumliegenden Wagenrad - und setzte sich erst mal hin... ?
Die Fahrt muss verdammt streng gewesen sein! Als ich eine halbe Stunde spaeter
die Halle verliess, sassen die meisten immer noch herum. Nur einer schien
sich durchgerungen zu haben und schraubte an der Schweissanlage herum. Die
daneben stehenden Maschienen machten alle einen erbaermlichen Eindruck. Der
Schweisser hat hier noch lange zu tun.
Sprach ich die Leute auf die Maengel an Maschienen und Infrastruktur an,
so erhielt ich fast immer die gleiche Antwort: es fehle an Ersatzteilen.
Der Schuldige fuer diesen Mangel war auch immer sofort gefunden: die USA.
Das Handelsembargo trifft Cuba hart.
Die 90er Jahre muessen besonders schwierig gewesen sein. Als der "sozialistische
Block" zerbrach, stand Cuba ploetzlich alleine da. 80% der Handelspartner
gingen dem Land ueber Nacht verloren.
Inzwischen sind die Chinesen aufgesprungen. Erst wurden Fahrraeder geliefert.
Zu tausenden fahren chinesische Zweiraeder ueber Cubas Strassen. Oft ist
dies das einzige Verkehrsmittel fuer die Leute. Nicht selten sitzen da drei
Leute auf zwei Raedern. Es werden grosse Bette auf kleinen Fahrraedern gezuegelt.
Oder dann balanciert ein Junge, die eine Hand am Lenker, auf der andern eine
lecker aussehende Geburtstagstorte.
Waehrend meiner Rundreise ueber die Insel fuehrte ich staendig gut sichtbar
einen Ersatzreifen mit mir. Wie oft wurde ich gefragt, ob ich diesen Reifen
verkaufen wuerde?! Cuba habe nun zwar Fahrraeder, doch mangle es an Ersatzteilen.
Reifen gaebe es im ganzen Land keine zu kaufen.
So geht man sorgfaeltig mit dem Material um, das sich im Land befindet. Ich
hatte wieder einmal einen Plattfuss. Als ich die uebereinandergeklebten Flicke
erst entfernen wollte, um auf sauberem Untergrung einen neuen Flick zu platzieren,
riss das Loch zu einem 5cm langen Spalt an. Doch auch so etwas flickt man
hier mit einer Selbstversaendlichkeit, wie wir in den Laden gehen, um neues
Material zu kaufen. Mit dem geflickten Schlauch legte ich nun schon wieder
fast 1.000km zurueck. Er haelt!
Abfall prodziert Cuba (fast) keinen. Ein wirklich nicht mehr zu gebrauchender
Schlauch dient nun, um ueber die Flickstellen der zu flickenden Schlaeuche
geklebt zu werden. Glasflaschen werden auf einer Hoehe von ca. 6cm abgeschnitten
und dienen als Trinkglas. Vollgeschriebene Schulhefte dienen als Serviette.
Ich habe noch nie ein so sauberes lateinamerikanisches Land gesehen wie Cuba.
Petflaschen finden sich im Land nur dort, wo des Touristen hat. Fuer jeden
Plastiksack muss bezahlt werde. Reis, Bohnen und sonstige Produkte werden
offen verkauft. Das Getraenk wird im Offenausschank in den abgeschnittenen
Glasflaschen serviert.
In Cuba gibt es keinen Stress, so dass innegehalten werden kann, um das Getraenk
zu trinken und das Glas stehen zu lassen. In unserer hektischen westlichen
Welt muss dies in einer Einwegflasche verkauft werden, so dass wir im gehen
trinken koennen und keine Zeit verlieren. Zeit ist Geld. In Cuba haben die
Leute oft kein Geld. Dafuer aber unheimlich viel Zeit.
Der Cubaner hat unheimlich viel Zeit, was wiederum fuer mich als Besucher
nicht immer sehr angenehm war. So kam es eben auch vor, dass ich mehrere
Minuten auf ein trockenes "pan con croqueta", einem Brot mit einer Art Fischstaebchen
darinn, warten muss, obwohl das Produkt hinter der Theke sichtbar im Fliegenschrank
lag... Den Rekord stellte dieser Junge in Cienfuegos auf, der mich 20min
an der Bar sitzen liess, um mir zwei Brote mit Spiegelei zu sevieren.
Der Lebensstil der Cubaner war gewoehnungsbeduerftig. Das Leben ist ein Spiel.
Mal wird hektisch diskutiert. Mal um Mitternacht unter der Strassenlaterne
friedlich Domnino gespielt. Schaute ich einer der vielen huebschen Cubanerinnen
nach, pfiff, schnulzte oder richtete den Mund zu einem Kuss aus der Ferne,
so kam der gleiche Kuss aus der Ferne von dieser Cubanerin zurueckgesendet!
In jedem andern Land wuerde sich das Maedchen sexuell belaestigt fuehlen.
Hier dankt die Schoenheit, wenn ich ihr im Vorbeigehen zufluestere, wie schoen
sie sei. Da haette ich eigentlich bis vor meiner Cubareise mit einer saftigen
Ohrfeige gerechnet!
Doch merkte ich je laenger ich auf Cuba war, dass mir die Leute fremd schienen.
Ich fand es oft schwer, mit dem "guajiro", dem einfachen Landarbeiter, ein
interessantes Gespraech zu fuehren. Die Fragen waren auffallend immer die
selben. Ob ich das Fahrrad gemietet habe, wurde immer gefragt. Eigenbesitz
ist in Cuba nicht denkbar.
Ich hatte mir vor meinem Cubabesuch grosse Illusionen zu Land und Leute gemacht.
Ich hatte von der tollen Schulbildung gehoert und geglaubt, dass ich draussen
auf dem Land nicht die Ignoranz antreffen werde, wie ich sie sonst in Lateinamerika
angetroffen habe.
Doch da taeuschte ich mich gehoerig. Auch in Cuba fragen die Leute, wo in
den USA denn die Schweiz liegen wuerde. Dass es neben Spanisch und Englisch
noch weitere Sprachen in unserer grossen Welt gesprochen werden, davon schienen
einige Leute das erste Mal zu hoeren.
Ich stellte immer wie mehr fest, wie viele Cubaner in ihrer "Glocke" leben.
Durch die vier staatlichen Fernsehsender, die staatlichen Zeitungen und die
staatlichen Radiostationen werden die Leute informiert. Wenn wir zusammen
sprachen, stellte ich oft fest, dass ich mit einer Selbstverstaendlichkeit
von Sachen rede, die meine Gespraechspartner gar nicht kennen konnten. Grossleinwaende
gehoeren ausserhalb Cubas einfach mitlerweilen dazu. Dass jemand Fahrradreifen
zu produzieren beginnt, wenn diese im ganzen Land fehlen, gehoert zur Regel
unseres Systems.
Diese "Glockentaktik" funktioniert innerhalb Cubas bestens. Gemeinsam hat
man einen Feind - die USA. Alle Schwierigkeiten sind dem Handelsembargo
zu verschulden. Dass es keine Ersatzteile gibt, dass der oeffentliche Transport
nicht funktioniert, dass Nahrungsmittel ausbleiben - all das ist Schuld der
USA.
Dafuer sind alle Errungenschaften seit dem Triumpf der Revolution Fidel und
seinen Leuten zu verdanken. Dass der alte Mann in seinem Haus nun einen Zementboden
besitzt und nicht mehr auf einem Erdboden wohnen muss; dass nun die Regierung
allen Familien Kochtoepfe und Kuhlschraenke verteilt hat; dass nun im Jahre
2006 das Haus von Maria Naranjo auch der Stromversorgung angeschlossen werde
- all das ist Verdienst der Revolution. Dabei wird mit dem Stand des Landes
von 1959 verglichen. Damals gab es keine Kuehlschraenke - heute gibt es sie.
Die logische Ueberlegung - dieser Fortschritt ist Fidel zu verdanken! Oder
koennte es vielleicht einfach der Lauf der Zeit sein?
Die staatlichen Informationsquellen informieren nur mit grosser Zensur. Die
Leute erhalten ein stark verzerrt Bild der Welt. So wird oft erwaehnt, dass
ausserhalb Cubas ja fast kein Leben sei. Ueberall herrsche Terrorismus, ueberall
herrsche Kriminalitaet. Es sei gefaehrlich, so dass man sich ausserhalb Cubas
scheinbar kaum bewegen koenne.
Ich hatte vor meinem Besuch auf Cuba das Land sehr idealisiert. Ich glaubte,
dort Loesungen zu finden. Ich glaubte, dort ein freieres Leben anzutreffen.
Ich glaubte, selber ein Kommunist zu sein.
Nun war ich in Cuba. Nun weiss ich, dass meine Vorstellungen von Land und
Leben voellig falsch waren. Nun weiss ich auch, dass ich entweder kein Kommunist
sein kann oder aber dass das, was auf Cuba gelebt wird, nicht Kommunismus
ist.
Ich habe auch gemerkt, dass wenn ich gegen etwas bin, nicht automatisch fuer
etwas anderes sein muss. Wenn ich gegen das aktuelle Weltsystem bin, bin
ich dagegen, dass ich dafuer sein kann. Ich habe gemerkt, dass ich mich in
unserem freien Markt eigentlich ganz wohl fuehle, sofern es Regeln und Gesetze
gibt, die Exzesse verhindern. Hier in Cancun wird es diese Regeln und Gesetze
sicher geben, doch scheint sich niemand darum zu kuemern. Und ploetzlich
kommen mir nach nur drei Tagen zurueck in Mexico schon wieder die ersten
Zweifel: Steckte ich zu tief im cubanischen Leben und sah ploetzlich zu viele
Ecken und Fehler? War es dort gar nicht so unmoeglich, wie ich es am Schluss
empfand?
Cuba ist anders. Cuba ist anders als Lateinamerika. Doch vieles ist eben
dennoch gleich. Auch hier wird gebettelt, auch hier wird gesoffen, auch hier
wird dem Kapitalismus nachgeeifert, auch hier stinkt es beim scheissen....
Ich habe das Paradies nicht gefunden. Cuba ist schoen, bietet vielleicht
durch seine Andersartigkeit Loesungsansaetze, hat aber auch grobe Fehler,
was macht, dass das Leben im Land sehr kompliziert ist. Es hat mir gefallen
auf Cuba zu reisen, bin aber froh, dass ich nach zwei Monaten wieder gehen
konnte.
Zurueck in Cancun ersetze ich nun erst einmal all die kaputten Teile, die
die Zeit auf Cuba aus Mangel an Ersatz durchstehen mussten, bevor es bald
weiter geht.
Gruss Chrigu
Cancun, Mexico